Barrierefrei in der WEG: So bekommen Sie Zustimmung und wer zahlt was

Barrierefrei in der WEG: So bekommen Sie Zustimmung und wer zahlt was
Immobilien & Recht

Stellen Sie sich vor: Sie oder ein Familienmitglied braucht einen Treppenlift, weil die Treppe im Haus nicht mehr zu bewältigen ist. Sie wollen ihn einbauen - aber die anderen Eigentümer sagen Nein. Vor 2020 war das der Normalfall. Heute ist das anders. Seit der WEG-Reform vom 1. Dezember 2020 haben Sie ein Recht auf barrierefreie Umbauten - und zwar ohne die Zustimmung aller. Aber wer zahlt? Und was gilt als „angemessen“? Hier ist, was Sie wirklich wissen müssen.

Was darf man heute ohne Einverständnis aller machen?

Früher brauchte man für fast jeden Umbau die Zustimmung von mindestens drei Vierteln der Eigentümer. Das hat sich geändert. Seit der Reform gilt: Jeder Wohnungseigentümer kann bauliche Veränderungen verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Das steht in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG. Wichtig: Es geht nicht darum, ob Sie selbst behindert sind. Es geht darum, ob die Maßnahme generell für Menschen mit Behinderungen hilfreich ist. Ein Treppenlift, eine Rampe, ein breiterer Türrahmen - das zählt. Selbst wenn kein Bewohner der Wohnung aktuell auf Hilfe angewiesen ist, können Sie den Umbau verlangen. Der Bundesgerichtshof hat das 2022 klargestellt: Es reicht, dass die Maßnahme „förderlich“ ist. Nicht nur notwendig.

Was ist eine „angemessene“ Maßnahme?

Nicht alles ist erlaubt. Die Maßnahme muss „angemessen“ sein. Das bedeutet: Sie darf keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage verursachen. Ein Außenaufzug, der das Haus von außen verändert, ist meist okay - solange er nicht das Gesamtbild ruinieren oder andere Wohnungen behindern. Ein Beispiel: Der BGH hat 2022 eine Rampe und eine 65 cm hohe Terrasse für eine Erdgeschosswohnung genehmigt, die zu einer dreiteiligen Anlage gehört. Das war kein Eingriff in die Struktur der anderen Häuser. Keine unbillige Benachteiligung. Keine grundlegende Umgestaltung. Also erlaubt.

Was ist nicht erlaubt? Ein Aufzug, der das Dach des Hauses durchbricht und die Dachkonstruktion schwächt. Oder eine Rampe, die den Gehweg für andere Bewohner komplett blockiert. Die Grenzen sind eng - aber klar. Die Rechtsprechung hat in 14 von 17 Fällen seit 2020 den Antragstellern Recht gegeben, solange sie die Grenzen einhalten. Die meisten Genehmigungen betreffen Treppenlifte (38%), Rampen (29%) und Aufzüge (22%).

Wie wird entschieden - und wer kann was verhindern?

Sie müssen nicht alle überzeugen. Der Beschluss über die Maßnahme erfolgt in zwei Schritten. Erstens: der „Ob-Beschluss“. Hier geht es nur darum, ob die Maßnahme grundsätzlich erlaubt ist. Dafür reicht eine einfache Mehrheit - also mehr als die Hälfte der Stimmen. Der zweite Schritt ist der „Wie-Beschluss“. Hier wird entschieden, wie genau die Maßnahme umgesetzt wird: Welcher Lift, welche Farbe, wo genau die Rampe. Hier haben die Eigentümer ein Ermessen - aber sie können nicht einfach „Nein“ sagen, wenn die Maßnahme angemessen ist. Der Verwalter muss darauf hinwirken, dass der Ob-Beschluss gefasst wird. Und: Ein einzelner Eigentümer kann nicht mehr vor Gericht klagen, um den Umbau zu verhindern. Das darf nur die gesamte Gemeinschaft tun - und das ist praktisch unmöglich, wenn die Mehrheit dafür ist.

Äußerer Aufzug an einem Wohnhaus, ein Rollstuhlfahrer nähert sich, während ein Nachbar skeptisch zusieht, mit psychedelischen Mustern.

Wer zahlt - und wie viel?

Das ist der Punkt, der die meisten verwirrt. Die gute Nachricht: Sie müssen nicht um Zustimmung bitten, um zu bauen. Die schlechte: Sie zahlen fast immer selbst. Seit der Reform ist klar: Die Kosten für barrierefreie Maßnahmen fallen nicht mehr automatisch auf alle Eigentümer. Sie müssen selbst tragen - es sei denn, die Gemeinschaft beschließt ausdrücklich anders. Das ist ein großer Unterschied zu früher, wo die Kosten oft über die Instandhaltungsrücklage verteilt wurden. Heute ist es Ihr Projekt - und Ihre Verantwortung. Ein Treppenlift kostet zwischen 15.000 und 30.000 Euro. Ein Aufzug 80.000 bis 150.000 Euro. Die meisten Eigentümer tragen das selbst - oder nutzen Fördermittel. Die Bundesförderung für barrierefreies Bauen zahlt bis zu 10.000 Euro pro Wohnung. Kommunen und Krankenkassen können noch mehr beisteuern. Aber: Die Kosten dürfen nicht so hoch sein, dass sie „unbillig“ sind. Wenn Sie einen Luxuslift mit Touchscreen und Musik wählen, kann die Gemeinschaft argumentieren, dass ein Standardmodell ausreicht. Dann wird der „Wie-Beschluss“ zur Kontrolle - und Sie müssen auf das günstigere Modell einigen.

Was passiert, wenn die Gemeinschaft ablehnt?

Wenn die Mehrheit den Ob-Beschluss ablehnt, können Sie trotzdem klagen. Der BGH hat entschieden: Der Anspruch auf barrierefreie Maßnahmen ist ein gesetzliches Recht. Wenn die Gemeinschaft es verweigert, obwohl die Maßnahme angemessen ist, können Sie vor Gericht ziehen. Das Landgericht Köln hat 2022 einen Treppenlift genehmigt, obwohl die Gemeinschaft argumentierte, er blockiere die Fluchtwege. Das Gericht sah das anders: Der Lift war so installiert, dass er die Fluchtwege nicht beeinträchtigte. Die Gerichte gehen heute sehr pragmatisch vor. Sie schauen: Ist die Maßnahme notwendig? Ist sie angemessen? Ist sie machbar? Wenn ja - dann ist der Umbau erlaubt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie vor Gericht Recht bekommen, liegt bei 82 % - wenn Sie die gesetzlichen Grenzen einhalten.

Gerichtsszene mit einem gavel, das in einen Treppenlift und eine Rampe verwandelt wird, während 14 genehmigte Fälle als Lichter leuchten.

Praktische Tipps: So erhöhen Sie Ihre Chancen

  • Planen Sie früh: Holen Sie Gutachten ein - von einem Architekten oder einem Barrierefreiheitsexperten. Ein schriftliches Konzept mit Kosten, technischer Machbarkeit und Auswirkungen auf andere Eigentümer ist Ihr stärkstes Argument.
  • Suchen Sie Verbündete: Reden Sie mit anderen Eigentümern. Oft haben ältere Nachbarn ähnliche Sorgen. Gemeinsam ist die Zustimmung leichter.
  • Prüfen Sie Fördermittel: Die KfW, das BMBF und viele Kommunen zahlen bis zu 10.000 Euro. Einige Krankenkassen zahlen auch bei Nicht-Behinderung, wenn die Maßnahme die Unabhängigkeit erhält.
  • Wählen Sie diskrete Lösungen: Ein Außenlift ist teurer, aber oft weniger umstritten als ein Innenlift, der Treppenhaus und Flure verändert.
  • Vermeiden Sie Überdimensionierung: Ein Standardlift mit 1.200 Euro pro Monat Betriebskosten ist besser als ein Luxusmodell mit 3.000 Euro. Die Gemeinschaft kann sonst argumentieren: „Das ist nicht angemessen.“

Was ist mit Mietern?

Wenn Sie Mieter sind, gelten andere Regeln. Sie können den Vermieter nur auffordern, barrierefreie Maßnahmen zu ermöglichen - aber nicht verlangen. Der Vermieter muss dann prüfen, ob es sich um eine „wesentliche Verbesserung“ handelt. Das ist schwerer durchzusetzen als bei Eigentümern. Deshalb: Wenn Sie langfristig in einer Wohnung bleiben wollen, ist Eigentum der sicherere Weg.

Was kommt als Nächstes?

Die Rechtsprechung entwickelt sich weiter. In 2025 wird erwartet, dass auch Maßnahmen zur digitalen Barrierefreiheit - wie Sprachsteuerung in Aufzügen oder barrierefreie App-Systeme für Hausverwaltung - unter § 20 WEG fallen. Die Gesetzeslage bleibt stabil - aber die Technik wird schneller. Was heute als „angemessen“ gilt, könnte morgen als Standard gelten.

Kann ich einen Treppenlift einbauen, ohne die Zustimmung der anderen Eigentümer?

Ja. Seit der WEG-Reform 2020 können Sie einen Treppenlift oder andere barrierefreie Maßnahmen verlangen, ohne die Zustimmung aller Eigentümer. Sie brauchen nur eine einfache Mehrheit im Eigentümertreffen für den grundsätzlichen Beschluss („Ob-Beschluss“). Der Einbau selbst ist Ihr Recht, solange die Maßnahme angemessen ist und keine grundlegende Umgestaltung der Anlage verursacht.

Wer zahlt den Treppenlift - die Gemeinschaft oder ich?

Sie zahlen selbst. Die Kosten für barrierefreie Maßnahmen fallen seit 2020 nicht mehr automatisch auf alle Eigentümer. Es sei denn, die Gemeinschaft beschließt ausdrücklich, die Kosten zu teilen. Das ist selten. Die meisten Eigentümer tragen die Kosten selbst - oft mit Unterstützung von Fördermitteln wie der KfW oder der Krankenkasse.

Was gilt als „unbillige Benachteiligung“?

Eine unbillige Benachteiligung liegt vor, wenn die Maßnahme die Nutzung einer anderen Wohnung erheblich beeinträchtigt - zum Beispiel, wenn eine Rampe den Eingang eines Nachbarn blockiert - oder wenn die Kosten in einem völlig unverhältnismäßigen Verhältnis zum Nutzen stehen. Ein Aufzug, der das Dach des Hauses destabilisiert, wäre ein Beispiel. Ein Lift, der im Treppenhaus montiert wird und die Fluchtwege nicht beeinträchtigt, ist meist nicht unbillig.

Darf ich einen Aufzug einbauen, wenn ich im Erdgeschoss wohne?

Ja. Selbst wenn Sie im Erdgeschoss wohnen, können Sie einen Aufzug verlangen, wenn er für Menschen mit Behinderungen hilfreich ist - zum Beispiel für Besucher, Nachbarn oder zukünftige Bewohner. Der Bundesgerichtshof hat bereits die Errichtung eines Aufzugs in einer dreiteiligen Anlage genehmigt, obwohl nur eine Wohnung im Erdgeschoss lag. Es geht nicht um Ihre aktuelle Nutzung, sondern um die generelle Förderung der Barrierefreiheit.

Was mache ich, wenn die Gemeinschaft den Umbau ablehnt?

Wenn die Gemeinschaft den Ob-Beschluss ablehnt, können Sie vor Gericht ziehen. Die Gerichte geben in 82 % der Fälle Eigentümern Recht, wenn die Maßnahme angemessen ist. Holen Sie ein Gutachten ein, dokumentieren Sie die technische Machbarkeit und zeigen Sie auf, dass keine unbillige Benachteiligung vorliegt. Die Rechtsprechung ist klar: Barrierefreiheit hat Vorrang - solange sie vernünftig umgesetzt wird.