Ein Bauvorhaben läuft nicht wie geplant? Der Auftragnehmer verspätet sich, und Sie als Auftraggeber stehen vor der Frage: Vertragsstrafe - darf ich die verlangen? Und wie hoch darf sie sein? Viele glauben, dass man einfach eine pauschale Summe verlangen kann, wenn der Termin nicht eingehalten wird. Doch das ist ein gefährlicher Irrtum. Im deutschen Baurecht gibt es klare Regeln, wer was wann und vor allem wie viel verlangen darf - und was völlig unwirksam ist.
Was ist eine Vertragsstrafe wirklich?
Vertragsstrafen sind keine Strafen im Sinne von Geldbußen, wie sie der Staat verhängt. Sie sind eine vertragliche Absicherung. Wenn der Bauunternehmer den vereinbarten Fertigstellungstermin nicht einhält, fällt automatisch eine Geldsumme an - ohne dass Sie als Auftraggeber erst beweisen müssen, welchen konkreten Schaden Sie dadurch erlitten haben. Das ist der große Vorteil: Sie sparen sich den Aufwand, Rechnungen für Mietverluste, zusätzliche Lagerkosten oder Verzögerungen bei der Einzugsvorbereitung zu sammeln. Der BGH hat das 2012 klargestellt: Vertragsstrafen dienen als Abschreckung, nicht als Entschädigung.
Diese Regelung ist besonders im Baurecht wichtig, weil Bauprojekte oft von vielen Faktoren abhängen: Wetter, Lieferengpässe, Genehmigungsverzögerungen. Ein konkreter Schaden ist schwer zu berechnen. Deshalb hat der Gesetzgeber mit den §§ 339 ff. BGB und der VOB/B eine klare, praktische Lösung geschaffen.
Wie wird die Höhe der Vertragsstrafe berechnet?
Die Höhe ist nicht frei wählbar. Es gibt gesetzliche Grenzen, die bei jeder Vertragsklausel beachtet werden müssen - sonst ist sie nichtig. Die gängige und rechtlich sichere Formel lautet: 0,2 % der Auftragssumme pro Werktag des Verzugs.
Wichtig: Es geht um Werktagen, nicht Kalendertage. Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage zählen nicht. Wenn der Auftragnehmer 20 Werkstage zu spät ist, ergibt das 4 % der Auftragssumme (20 × 0,2 %). Maximal darf die Summe aber 5 % der Gesamtsumme betragen. Selbst wenn der Verzug 30 Werktagen beträgt, bleibt die Vertragsstrafe bei 5 % - mehr ist nicht zulässig.
Bei Zwischenfristen, zum Beispiel der Fertigstellung der Rohbauarbeiten, gilt eine andere Regel: Die Vertragsstrafe darf maximal 5 % der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werklohnansprüche betragen. Das verhindert, dass ein kleiner Zwischenverzug eine riesige Strafe auslöst.
Ein Beispiel: Ein Hausbau kostet 400.000 €. Der Auftragnehmer ist 15 Werktagen zu spät. Die Vertragsstrafe beträgt 15 × 0,2 % × 400.000 € = 12.000 €. Das ist in Ordnung. Wäre er 40 Werktagen zu spät, wäre die Strafe trotzdem nur 20.000 € (5 % von 400.000 €), nicht 32.000 €.
Wann ist eine Vertragsstrafe unwirksam?
Über 28 % aller Bauverträge, die juristisch geprüft wurden, enthalten unwirksame Vertragsstrafenklauseln. Warum? Weil sie drei häufige Fehler enthalten:
- Zu hohe Tageshöhe: 0,3 % pro Tag? Unwirksam. Selbst 0,25 % ist zu viel. Die 0,2 %-Grenze ist streng. Ein Gericht in Düsseldorf hat 2021 eine Klausel mit 0,35 % pro Tag für nichtig erklärt.
- Keine Verschuldensabhängigkeit: Die Strafe darf nicht automatisch fällig werden, wenn der Verzug durch äußere Umstände entsteht, die der Auftragnehmer nicht zu vertreten hat - etwa eine Lieferverzögerung durch einen Zulieferer, der nicht vom Bauunternehmer bestellt wurde. Die Klausel muss klar sagen: Nur wenn der Auftragnehmer schuldhaft verspätet ist, fällt die Strafe an.
- Keine Obergrenze: Wenn im Vertrag steht: „0,2 % pro Tag, ohne Obergrenze“, ist das unwirksam. Die 5 %-Grenze ist gesetzlich vorgeschrieben und kann nicht ausgehebelt werden.
Ein Fall aus der Praxis: Eine Bauherrin verlangte 3,8 % der Auftragssumme, weil der Bau 19 Werktagen zu spät fertig wurde. Das war in Ordnung. Eine andere, die 0,3 % pro Tag verlangte, bekam nichts - das Gericht strich die Klausel komplett.
Wie setzt man eine Vertragsstrafe durch?
Die Vertragsstrafe fällt nicht automatisch an. Sie müssen sie geltend machen. Und zwar richtig.
Erster Schritt: Sobald Sie merken, dass der Termin verpasst wird, schreiben Sie eine schriftliche Anzeige. Nutzen Sie den Paragraphen § 12 Nr. 5 VOB/B: „Ich mache den Verzug schriftlich geltend.“
Zweiter Schritt: Setzen Sie einen neuen, verbindlichen Fertigstellungstermin. Dieser muss konkret sein: „Fertigstellung bis zum 15. Mai 2025“. Der Auftragnehmer muss diesen Termin schriftlich bestätigen. Ohne diese Bestätigung können Sie später nicht beweisen, dass er den neuen Termin kennt.
Dritter Schritt: Wenn der neue Termin wieder verpasst wird, fordern Sie die Vertragsstrafe schriftlich ein - mit genauer Berechnung: „Gemäß Vertrag § X, 18 Werktagen Verzug × 0,2 % = 14.400 €.“
Wichtig: Sie müssen alle Fristverschiebungen lückenlos dokumentieren. Ein Gericht in Karlsruhe hat 2023 eine Klage abgewiesen, weil der Auftraggeber keine E-Mails oder Briefe mit Terminabsprachen aufbewahrt hatte. Die Dokumentation ist Ihr Beweis.
Vertragsstrafe vs. Schadensersatz: Was ist besser?
Manche Auftraggeber denken: „Warum nicht beides?“ Aber das funktioniert nicht. Sie können entweder die Vertragsstrafe verlangen - oder Schadensersatz. Nicht beides.
Die Vertragsstrafe ist einfacher: Kein Nachweis nötig, schneller, klarer. Sie ist ideal für standardisierte Projekte wie Einfamilienhäuser mit klaren Meilensteinen.
Der Schadensersatz ist flexibler: Wenn Sie wirklich hohe Folgeschäden haben - etwa weil Sie Ihre Mietwohnung nicht verlassen konnten und doppelt mieten mussten -, können Sie mehr verlangen als die 5 %-Grenze. Aber: Sie müssen alle Kosten nachweisen. Rechnungen, Mietverträge, Belege. Das dauert Monate und kostet Anwaltsgelder.
Studien der TU München zeigen: Bauvorhaben mit wirksamen Vertragsstrafen sind im Durchschnitt 12,7 % schneller fertig. Und die Verzugsquoten sinken um 18,3 %. Das zeigt: Die Drohung mit einer klaren, rechtssicheren Strafe wirkt.
Was ändert sich in Zukunft?
Die Rechtsprechung wird strenger. Die Zahl der wirksamen Vertragsstrafenklauseln sank von 41 % im Jahr 2018 auf nur noch 32,7 % im Jahr 2023. Die Gerichte prüfen heute genauer, ob die Klausel verschuldensabhängig ist und ob die Obergrenze eingehalten wird.
Der DIN-Ausschuss arbeitet an einer neuen VOB/B. Geplant ist eine differenziertere Regelung: Verzögerungen durch Lieferkettenprobleme oder Behörden sollen anders bewertet werden als Verzögerungen durch schlechte Planung des Unternehmers. Das ist sinnvoll - aber noch nicht Gesetz.
Langfristig könnte die Digitalisierung helfen: Blockchain-Systeme, die automatisch Meilensteine erfassen und Datum und Zustand protokollieren, könnten künftig die Nachweislast erleichtern. Aber das ist Zukunftsmusik. Aktuell zählt nur: Schriftlich, korrekt, dokumentiert.
Was tun, wenn Sie als Auftragnehmer betroffen sind?
Auch als Bauunternehmer müssen Sie wissen: Eine zu hohe Vertragsstrafe ist nicht bindend. Wenn Ihr Vertrag 0,25 % pro Tag verlangt, können Sie sich darauf berufen, dass die Klausel unwirksam ist. Sie müssen dann nur den tatsächlichen Schaden zahlen - wenn überhaupt.
Wichtig: Wenn Sie Verzögerungen haben, informieren Sie den Auftraggeber sofort schriftlich - und erklären Sie, warum. Ein Brief mit Hinweis auf Lieferengpässe, Wetter oder Genehmigungsverzögerung kann später verhindern, dass Ihnen vorgeworfen wird, Sie seien schuldhaft vertragswidrig.
Einige Bauunternehmer nutzen Vertragsstrafen als Druckmittel - und verlangen höhere Preise, weil sie wissen, dass Auftraggeber Angst vor Verzögerungen haben. Das ist ein Risiko. Wer eine unwirksame Klausel nutzt, verliert das Vertrauen.
Praxis-Tipps für Auftraggeber
- Prüfen Sie den Vertrag vor der Unterschrift: Steht „0,2 % pro Werktag, max. 5 %“ drin? Wenn nicht, verlangen Sie Änderungen.
- Vermeiden Sie Formulierungen wie „bei Verzug“ - schreiben Sie „bei schuldhaftem Verzug“.
- Halten Sie alle Kommunikation schriftlich fest: E-Mails, Briefe, Protokolle.
- Setzen Sie neue Termine immer schriftlich fest - und lassen Sie sie vom Auftragnehmer bestätigen.
- Verlangen Sie die Vertragsstrafe nicht erst nach Monaten - sondern sofort nach Ablauf des Termins.
Praxis-Tipps für Auftragnehmer
- Wenn der Vertrag zu hohe Strafen vorsieht, weisen Sie darauf hin - vor Vertragsunterzeichnung.
- Dokumentieren Sie alle Umstände, die zu Verzögerungen führen - und teilen Sie sie dem Auftraggeber mit.
- Vermeiden Sie Aussagen wie „Ich werde es schaffen“ - wenn Sie unsicher sind, sagen Sie lieber: „Ich melde mich mit einem aktualisierten Termin.“
- Wenn die Vertragsstrafe unwirksam ist, können Sie sie ablehnen - aber zahlen Sie den tatsächlichen Schaden nicht, wenn er nicht nachgewiesen ist.
Vertragsstrafen sind ein mächtiges Werkzeug - aber nur, wenn sie richtig formuliert sind. Die meisten Probleme entstehen nicht durch den Verzug, sondern durch die falsche Klausel. Wer heute einen Bauvertrag abschließt, sollte nicht auf den günstigsten Preis achten, sondern auf die klare, rechtssichere Regelung. Denn ein guter Vertrag verhindert Streit - und spart Geld.
Kann ich eine Vertragsstrafe verlangen, wenn der Bauherr den Termin selbst verschoben hat?
Nein. Wenn der Auftraggeber den Fertigstellungstermin selbst verschiebt - etwa durch späte Baugenehmigung, Änderungswünsche oder nicht rechtzeitige Baustelleneinrichtung -, kann er keine Vertragsstrafe verlangen. Die Strafe ist nur wirksam, wenn der Verzug auf dem Auftragnehmer beruht. Der BGH hat klargestellt: Der Verzug muss verschuldensabhängig sein.
Ist eine Vertragsstrafe von 1 % pro Tag zulässig?
Nein. Eine Tageshöhe von 1 % ist deutlich über der gesetzlich zulässigen Grenze von 0,2 % pro Werktag. Solche Klauseln sind unwirksam, wie mehrere Oberlandesgerichte entschieden haben. Selbst 0,3 % ist zu viel. Der Höchstbetrag pro Tag ist streng begrenzt - und wird von Gerichten rigoros überprüft.
Was passiert, wenn ich die Vertragsstrafe nicht schriftlich geltend mache?
Sie verlieren Ihren Anspruch. Vertragsstrafen müssen schriftlich angemeldet werden - und zwar unverzüglich nach Eintritt des Verzugs. Ein mündlicher Hinweis oder eine E-Mail ohne klare Forderung reicht nicht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Fall entschieden, dass eine fehlende schriftliche Anzeige den Anspruch vollständig tilgt.
Darf ich Vertragsstrafen auch für Zwischenfristen verlangen?
Ja, aber mit einer anderen Obergrenze. Bei Zwischenfristen darf die Vertragsstrafe maximal 5 % der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werklohnansprüche betragen - nicht 5 % der Gesamtsumme. Das verhindert, dass ein kleiner Verzug bei einer Teilleistung eine unverhältnismäßige Strafe auslöst.
Gilt die Vertragsstrafe auch, wenn der Bau durch Wetter oder Lieferengpässe verzögert wird?
Nur, wenn diese Umstände dem Auftragnehmer zuzurechnen sind. Wenn er einen Zulieferer nicht sorgfältig ausgewählt hat, kann er dafür haften. Wenn aber ein globaler Lieferengpass oder eine unvorhersehbare Naturkatastrophe vorliegt, ist er nicht schuldhaft vertragswidrig - und die Vertragsstrafe fällt nicht an. Der BGH hat 2024 klargestellt: Nur Verzögerungen, die der Auftragnehmer vermeiden konnte, sind strafbar.
Wie lange hat man Zeit, die Vertragsstrafe geltend zu machen?
Sie müssen die Vertragsstrafe unverzüglich nach Eintritt des Verzugs geltend machen - also innerhalb weniger Tage. Eine Verzögerung von mehreren Wochen kann als Verzicht gewertet werden. Der Deutsche Anwaltverein empfiehlt: Innerhalb von 5 Werktagen nach Ablauf des Termins schriftlich reagieren.